hr-iNFO Büchercheck: Die Summe aller Möglichkeiten von Olivier Adam

hr-iNFO Büchercheck: Die Summe aller Möglichkeiten von Olivier Adam

17.08.2017

Die Cote d´Azur. Eine mediterrane Traumlandschaft. Warm, blaues Meer, ockerfarbene Buchten, malerische Dörfer und Städte. Land der Künstler, des Jetsets, der Touristen. Ja. Aber es gibt dort auch andere Menschen. Die nicht in Villen mit Pool leben, sondern in Miet- oder Sozialwohnungen. Menschen eben, die sich Tag für Tag durchwurschteln müssen, die im Schatten leben. Für die der Sieg ihrer Fußballmannschaft der größte Glanz ihres Lebens ist. Um sie geht es im neuen Roman von Olivier Adam. hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Der Roman beginnt furios. Mit einem Unwetter und einer Gewalttat. Wellen türmen sich auf, überspülen den Strand, lassen die Scheiben des Strandlokals bersten, reißen alles mit sich, was nicht fest verankert ist. Menschen sterben in den Fluten, andere verschwinden. Und ein Fußballspieler des Regionalclubs, der am Strand jobbt und die Hütten auf einem Campingplatz anstreicht, wird überfallen und mit einem Baseballschläger krankenhausreif geprügelt. Steckt der örtliche Mafioso dahinter oder wütende Fans? Kapitel für Kapitel lässt Adam seine Figuren auftreten und ihre Geschichte erzählen. Menschen, die stecken geblieben sind, deren Leben schief gelaufen ist, weil es ihnen an Einsatz fehlte oder weil sie an bestimmten Weichen einfach die falschen Entscheidungen getroffen, auf die falschen Leute gesetzt. Antoine, der Fußballspieler und Tagelöhner ist einer von ihnen und bringt dieses Lebensgefühl auf den Punkt.

„Das ist das Problem mit dem Leben, dachte Antoine. Dasjenige, das man hat, ist immer zu eng, und das, das man gern hätte, ist zu groß, um es sich auch nur vorstellen zu können. Die Summe aller Möglichkeiten ist das Unendliche, das gegen null tendiert. Letztlich geht es vorüber. Es geht immer vorüber.“

Wie ist es geschrieben?
Es ist eine harte Geschichte, und Adam erzählt sie ungeschminkt. Nah an seinen über 20 Figuren, jede in ihrer Sprache. Mal ruppig, mal weinerlich, mal desillusioniert. Und doch hat der Autor Verständnis und Sympathie für seine Leute. Sie erfahren auch Zuwendung, Unterstützung, dürfen auch hoffen. Es gibt sogar Gegenmodelle halbwegs geglückten Lebens, wie eine ältere Schriftstellerin, die zwar einsam ist aber mit sich im Reinen. Um ihren Lebensentwurf zu beschreiben, findet Adam zarte und sensible Bilder, hier leuchtet der Roman.

„Spüren, wie die Zeit vergeht. Den Duft der Luft atmen. Empfänglich sein für die Veränderungen des Lichts. Sich von der Unendlichkeit des Meeres gefangen nehmen lassen. Seiner vollkommenen Unbewegtheit. Seinen Reflexen. Seinen Farben. Seinen Bewegungen. Sich an den Fels lehnen. Die Rinde der Bäume berühren. Die Flechte. Die Augenblicke abpassen, in denen das Licht jedes Blatt zu umhüllen, sie in einen durchsichtigen Schrein zu betten, sie zu durchdringen scheint.“

Wie gefällt es?
Eine spannende Geschichte und eine analytische Geschichte, die dabei hilft, das Frankreich unserer Zeit mit seinen gesellschaftlichen Spannungen und politischen Besonderheiten besser zu verstehen. Vor allem aber ein Buch über Menschen auf der Schattenseite des Lebens. Adam hat sie zum Sprechen gebracht. Ich finde, das ist viel.

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gebundenes Buch, 445 S.
Sprache: Deutsch
Klett-Cotta
ISBN: 9783608980332